Welche Regeln braucht das Homeoffice?

Welche Regeln braucht das Homeoffice?

Millionen Beschäftigte arbeiten während der Corona-Pandemie von zu Hause aus. Nach über einem Jahr wird deutlich: Bei manchen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern wird die Not- zur Dauerlösung. Nicht nur aus Sicht des Arbeitsschutzes wird geraten, Homeoffice verbindlich für den ganzen Betrieb zu regeln. Bewegung in die Debatte brachte zuletzt der Gesetzentwurf zur mobilen Arbeit. Damit soll Arbeiten von flexiblen Orten für alle Beteiligten rechtssicher gemacht werden.

DGB sieht auch in Zukunft viel Spielraum für Homeoffice

Was also dürfen Beschäftigte erwarten und was müssen Vorgesetzte ihnen anbieten? Oliver Suchy vom Deutschen Gewerkschafts-Bund (DGB) ist Leiter der Abteilung für Digitale Arbeitswelten und selbst ein Zu-Hause-Arbeiter. Für ihn ist Homeoffice derzeit nicht eindeutig geregelt: „Es gibt noch keinen Rechtsanspruch auf Homeoffice für Beschäftigte – allerdings haben Unternehmen generell auch keine Grundlage, Homeoffice anzuordnen.“ Eine Ausnahme bilden die aktuellen Sonderregelungen der  im Januar erlassene SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung: Unternehmen und Organisationen müssen demnach Beschäftigten die Arbeit von zu Hause „im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten“ anbieten.

Suchy verweist auf ein generelles Problem: Homeoffice sei Alltagssprache, aber ein noch „schwammiger“ Begriff. „Regelungen wie Arbeitszeitgesetze gelten zwar unabhängig vom Arbeitsort weiter, aber ansonsten ist Homeoffice insbesondere in Abgrenzung zur normierten ‚Telearbeit‘ noch nicht geregelt“, sagt Suchy. Der Gewerkschafter sieht Regelungsbedarf vor allem hinsichtlich der Ausstattung und des Arbeitsschutzes. „Gerade im Homeoffice sehen wir schon seit langem Probleme wie Erreichbarkeitsfragen und unbezahlte Mehrarbeit.“

Arbeitsschützer sind nicht kontra Homeoffice – solange klare Vorgaben gelten

Solange Arbeitsplatz und -zeit gut gestaltet sind, spricht aus Sicht des Arbeitsschutzes grundsätzlich nichts gegen das Homeoffice. So ist Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im „Corona-Homeoffice“ selbst auf den Geschmack gekommen. Er möchte weiter im Büro arbeiten, aber zugleich auch ein Büro zu Hause haben. Backhaus hat deshalb einen Antrag auf einen fest eingerichteten Telearbeitsplatz gestellt. Er erläutert: „Ein Telearbeitsplatz ist genau geregelt in der Arbeitsstättenverordnung. Bei der Telearbeit wird im Prinzip der Bildschirmarbeitsplatz aus dem Betrieb zu Hause nachgebaut – und dort muss er ebenso ergonomisch gestaltet sein.“

Wer im Homeoffice arbeitet, ohne explizit Telearbeit zu vereinbaren, fällt nicht unter diese Verordnung. Es gelten dann zwar bestehende Regeln zum grundsätzlichen Arbeits- und Unfallschutz sowie zu Arbeitszeiten. Doch nur Telearbeit verpflichtet Arbeitgeber*innen explizit dazu, einen Bildschirmarbeitsplatz fest einzurichten. „Kurzfristig am Laptop zu arbeiten ist okay“, sagt Backhaus. „Aber langfristig machen sich die Auswirkungen bemerkbar: eine gebeugte Haltung, eine verkümmernde Schultermuskulatur.“

Keine Vereinbarung? Dann ist schon die private Handynutzung heikel

BAuA-Experte Backhaus und DGB-Fachmann Suchy plädieren daher dafür, statt auf lockere Homeoffice-Verabredungen lieber auf klare Regeln und Vereinbarungen zu setzen. Hierzu wird eine Dienst- oder Betriebsvereinbarung geschlossen, abgestimmt mit dem Betriebsrat, um alle Details zu regeln. „Ich nutze etwa mein privates Handy auch beruflich. In der Dienstvereinbarung steht das mit drin“, erzählt Backhaus. „Jedem Arbeitgeber muss klar sein, dass damit eine erhöhte Gefährdung für Unternehmensdaten einhergeht. Und jedem Arbeitnehmer muss klar sein, dass die Sicherstellung des Datenschutzes damit zunehmend auf ihn abgewälzt wird.“ Vereinbarungen müssen daher viele Details klären: Brauchen Beschäftigte eine spezielle Virensoftware, um private Geräte für den Job nutzen zu dürfen?

Das Hauptproblem beim Homeoffice-Begriff sieht auch Backhaus in noch ungeregelten Fragen: „Menschen im Homeoffice werden unsichtbar, auch für den Arbeitsschutz.“ So komme es beim Homeoffice in der Praxis nicht nur leichter zu Überstunden, sondern auch zu verkürzten Ruhezeiten: Wer bis 23 Uhr Mails liest und um 8 Uhr schon die Kollegin anruft, hat sein Minimum von elf Stunden Ruhezeit unterschritten. „Es ist ein Paradoxon, dass viele die Autonomie im Homeoffice ausnutzen, um sich stärker mit Arbeit zu belasten“, sagt Backhaus.

Kleine Wohnung und Kinderbetreuung: Manche Beschäftigten bevorzugen klassisches Büro

Oliver Suchy ergänzt: „Die meisten Beschäftigten, die freiwillig das Homeoffice nutzen, wünschen sich einen Mix aus Homeoffice und Büroarbeit“, sagt Suchy. Beschäftigte, die ausschließlich im Homeoffice arbeiten wollen, bleiben seiner Meinung nach auch in Zukunft in der Minderheit.

Auf der anderen Seite gebe es nicht wenige, denen die räumliche Trennung zwischen Beruf und Privatem wichtig sei oder die aufgrund einer zu kleinen Wohnung oder gleichzeitiger Kinderbetreuung nicht freiwillig zu Hause arbeiten möchten. Deshalb ruft Suchy die Arbeitgebenden dazu auf, nicht vorschnell Büroraum einzusparen und feste Schreibtische gänzlich abzuschaffen: „Die Arbeit im Büro darf nicht zur Reise-nach-Jerusalem werden.“ Laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft droht dies aber nicht: Nur 6,4 Prozent der Unternehmen gaben Ende 2020 in einer Befragung an, Büroflächen reduzieren zu wollen.

Diese und weitere Informationen finden Sie in einem Beitrag der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA).

Ein Check-Up zum Thema Homeoffice bietet die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) – in Kurz- und Langversion.

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